KiTa-Beschäftigte schlagen Alarm: Fachkräftemangel eskaliert

Freitag für die Zukunft, Donnerstag für gute KiTas – Beschäftigte aus Kindertagesstätten fordern bessere Bedingungen und mehr Personal. Dafür haben sie zuletzt im ganzen Land wöchentliche Mahnwachen abgehalten
© Florian Boillot
Freitag für die Zukunft, Donnerstag für gute KiTas – Mahnwache von Erzieher*innen in Berlin
25.03.2024

Stellvertretend für die 722.000 pädagogisch und leitenden Beschäftigten in den KiTas haben in fast allen Bundesländern Beschäftigte aus Kitas wochenlang immer wieder vor Staatskanzleien, Senaten, Landes – und Bundesministerien gestanden, um über die anhaltend prekäre Situation in Deutschlands Kindertagesstätten zu informieren. Am 21. Dezember 2023 fand vorerst die letzte dieser Mahnwachen unter dem Motto „Donnerstag für gute KiTas – Es donnert in den KiTas“ statt. „Mit ihren Aktionen konnten die Kolleginnen und Kollegen mit vielen verantwortlichen Politikerinnen und Politkern ins Gespräch kommen. Auch in den Ministerien und im Kanzleramt haben Gespräche stattgefunden. Jetzt müssen wir Taten sehen“, fordert die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle.

„Uns ist klar, dass sich die Länder keine Fachkräfte für die KiTas ,backen' können. Doch weiteres ungeplantes und unabgestimmtes Vorgehen wird die Krise weiter verstärken“, so Behle. Schon jetzt bestehe eine erhebliche Gefährdung für Kinder und Beschäftigte in den Einrichtungen. Dem Bildungs- und Betreuungsauftrag könne man nicht mehr im notwendigen Umfang gerecht werden und die Beschäftigten würden häufig erkranken oder das Arbeitsfeld verlassen.

 

„Was das langfristig für unser Land als Wirtschaftsstandort heute und in Zukunft bedeutet, sollte allen Verantwortlichen klar sein. Wenn es keine Lösungen gibt, müssen Eltern ihre Kinder wieder zu Hause versorgen und können nicht am Erwerbsleben teilnehmen.“

Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende

Die jährliche Pisa-Studie würden deutlich zeigen, wie es um die Fachkräfte von morgen stehe, betont Behle. Frühkindliche Bildung in einem stabilen KiTa-System seien die Grundlage für Bildungsgerechtigkeit, für eine funktionierende Wirtschaft und eine demokratische Gesellschaft. 

Mahnwache vor dem Kanzleramt

Am Morgen des 30. November hatten sich zahlreiche KiTa-Mitarbeitende auch vor dem Bundeskanzleramt in Berlin versammelt, um bei Minus 5 Grad mit einer Mahnwache auf die katastrophalen Bedingungen für KiTa-Beschäftigte aufmerksam zu machen. Trotz des eisigen Wetters standen die KiTa-Mitarbeitenden aus Berlin und Brandenburg mit Plakaten und Transparenten, umgeben von blau leuchtendem Schnee, entschlossen und solidarisch zusammen. Die wöchentlichen Mahnwachen, die ab dem 19. Oktober 2023 vor verschiedenen politischen Institutionen in ganz Deutschland stattgefunden hatten, sind Teil der fortlaufenden Bemühungen gewesen, auf die dringenden Bedürfnisse und Forderungen der KiTa-Beschäftigten aufmerksam zu machen.

 

 

„Von Jahr zu Jahr nimmt der Fachkräftemangel zu, ohne dass sich die Politik rührt und endlich gemeinsam und systematisch vorgeht", mahnte Christine Behle vor dem Kanzleramt und unterstrich die eskalierende Problematik des Fachkräftemangels, der zunehmend unadressiert bleibe. Sie forderte dringend einen bundesweiten KiTa-Gipfel, bei dem das Kanzleramt die Verantwortung übernimmt und gemeinsam mit den Bundesministerien, den Ländern und den Kommunen Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Ausbau des Systems entwickelt.

 

„Der Bund muss sich dauerhaft finanziell am Betrieb der KiTas und der Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte beteiligen. Ein Gute-KiTa-Gesetz nach dem anderen hilft da nicht weiter. Die Kommunen brauchen eine verlässliche Unterstützung.”

Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende


Bericht aus der Praxis

Anette Krapp ist Erzieherin und arbeitet seit 40 Jahren in Kindertagesstätten. Die 58-Jährige liebt ihren Job, opfert aber Freizeit und Wochenenden zur Regeneration. Unserer Mitgliederzeitung ver.di publik erzählte sie Anfang des Jahres, dass weder für notwendige Teambesprechungen genügend Zeit bliebe noch für Kolleginnengespräche. Alle seien insgesamt viel gereizter. Vor allem fehle die Zeit für Pädagogik: „Frustrierend ist, wenn du wegen der personellen Engpässe deinen eigenen pädagogischen Maßstäben nicht mehr gerecht werden kannst.“

Richtig stressig wird es für die erfahrene Erzieherin, wenn sie mit zwölf Krippenkindern allein ist, eines hinfällt und weint, zwei sich streiten und zwei volle Windeln haben. Dann sei der permanente Lärm noch schwieriger zu ertragen. Und dann käme es auch vor, dass Kolleginnen stressbedingt weinen, die seien dann richtig fertig.

Eigentlich ein toller Job

Anette Krapp ist keine, die sich beklagt. „Eigentlich ist der Job ganz toll, ich arbeite sehr gerne mit Kindern“, sagt sie. Wenn bloß die Bedingungen nicht gefühlt immer schlechter, das Personal immer weniger werden würde. „Wenn du 20 Kinder gewickelt hast, hast du Rücken am Abend.“

Seit einigen Jahren erleben die Beschäftigten der Kitas einen ständig wachsenden Fachkräftemangel. Auch die offiziellen Berechnungen zeigen, dass die Fachkräftelücke stetig steigt. Die Agentur für Arbeit spricht inzwischen von einem Engpassberuf. Und bei diesen Zahlen sind die Bedarfe für einen Ausbau des Systems oder die Anhebung der Qualität noch nicht einmal eingerechnet.

Über 400.000 Kita-Plätze fehlen

Der Personalmangel trifft auf KiTas, die ohnehin schon mit Personalschlüsseln ausgestattet sind, die nicht kindgerecht sind. Die Zahlen des am 28. November 2023 veröffentlichten Ländermonitors zeigen die Probleme deutlich: In den westdeutschen Ländern fehlen demnach 385.900 und in Ostdeutschland 44.700 Kita-Plätze, um die Wünsche der Eltern zu erfüllen. Gleichzeitig zeigt der Fachkräfte-Radar, dass sich an der brisanten Fachkräftesituation und der Belastung des Personals in absehbarer Zeit nichts ändern wird. Nur in den ostdeutschen Ländern ließe sich die demografische Entwicklung – die sinkenden Kinderzahlen – dafür nutzen, die Personalschlüssel zu verbessern.

Kommunen und Länder reagieren auf die Nachfrage nach Kitaplätzen bisher mit dem Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Schaffung neuer Plätze. Wenn neue Einrichtungen eröffnen, wird das Personal aus den umliegenden KiTas in der Region abgezogen. Doch so wird die Personaldecke in allen KiTas immer dünner und der Personalmangel wächst stetig. Die Folgen: KiTa-Beschäftigte erkranken häufiger, fallen aufgrund von Burnout lange Zeiten aus oder sie verlassen ihren Beruf gleich ganz.

97 Prozent der Kita-Beschäftigten vom Personalmangel betroffen

Laut einer Studie der Krankenkasse DAK sind 97 Prozent der Beschäftigten in den Kitas vom Personalmangel betroffen. Der Krankenkasse gegenüber geben die Beschäftigten an, dass es allgemein zu wenig Mitarbeiter*innen und ungewöhnlich viele Personalausfälle gebe. Das heißt: Dort wo Personalmangel erlebt wird, sind die Personalausfälle besonders hoch. Und das heißt auch, die Personalausfälle durch Erkrankungen steigen. Laut DAK ist keine andere Berufsgruppe häufiger wegen Erkrankungen des Atmungssystems oder aufgrund psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Für die Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen bedeutet dies, dass sie ihrem Arbeitsauftrag, der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern nicht mehr nachkommen können.

 

„Wenn das KiTa-System nicht total vor die Wand fahren soll, muss dieser Teufelskreis sofort durchbrochen werden. Wir müssen uns auf die Stabilisierung des derzeitigen KiTa-Systems konzentrieren. Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie die Fachkräftelücke von Tag zu Tag wächst.“

Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende

Eine Verlässlichkeit für die Eltern ist längst nicht mehr gegeben. Notgruppen, Reduzierung der Öffnungszeiten oder auch Schließungen von Gruppen sind an der Tagesordnung. Es müsse seitens der Politik endlich die Verantwortung übernommen werden, sagt Behle. Auch die Eltern dürften in dieser schwierigen Situation nicht allein gelassen werden. Sie benötigten dringend Unterstützung, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder verlässlich möglich wird.

So sollte es sein

Erzieher*innen sind qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen. Sie haben sich für ihren Beruf entschieden, weil sie Erfüllung darin finden, mit viel Wissen, Einsatz und Begeisterung, kleine Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Dass ihnen das im Zweifel mehr bedeutet als Geld, ist ehrenwert, darf aber nicht zu Selbstausbeutung führen. Erzieher*innen erfüllen wichtige Aufgaben, sie tragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei und kümmern sich um die zukünftige Generation. Es muss ein gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt und formuliert werden, welche Bedeutung frühkindliche Bildung hat – nämlich eine immens hohe, weil sie die Entfaltungsmöglichkeiten ein Leben lang beeinflusst. Und dann müssen die Konsequenzen daraus gezogen werden: eine höhere Wertschätzung, bessere Personalausstattung für die Kolleg*innen, höhere Entgelte, die das gewachsene Anforderungsprofil abbilden, und mehr Aufstiegs- und Spezialisierungsmöglichkeiten, etwa in Richtung Sprachförderung, Inklusion und Beratung.

Im Sinne der Nachwuchsgewinnung sollte die Ausbildung besser gestaltet werden. Soziale Berufe müssen insgesamt aufgewertet werden und es gilt, Schule und Praxis besser zu verzahnen. Nicht zuletzt sollte es selbstverständlicher werden, dass auch Männer den Beruf erlernen. Inspirierend könnte ein Blick nach Frankreich und Schweden wirken: Dort ist die öffentliche Kinderbetreuung sehr gut ausgebaut, die Erzieher*innen sind exzellent ausgebildet und werden auch entsprechend bezahlt: Ihr Gehalt orientiert sich an dem von Lehrer*innen.

Um die Situation für Beschäftigte, Kinder und Eltern in Deutschland zu ändern, müsste den ver.di-Forderungen umgehend entsprochen werden:

  • Stabilisierung des bestehenden KiTa-Systems
  • Stopp des Abbaus der Qualitätsstandards
  • Veranstaltung eines bundesweiten KiTa-Gipfels
  • Beteiligung des Bundes
  • Stufenplan zum Ausbau der Erzieher*innenausbildung
  • Planvoller KiTa-Ausbau
  • Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Familien 

Mehr erfahren unter kita.verdi.de